Die französische Botschaft in Saarbrücken
Die Saarbrücker Botschaft im Spannungsfeld zwischen Frankreich und Deutschland
In Zusammenarbeit mit : Sylvie Grimm-Hamen, Norbert Mendgen, Maxime Santiago, Alexandra Schlicklin, Christoph Ehre und Alain Poncelet
Zwischen den Sprachen
Die „Mémoire architecturale au miroir de la France et de l’Allemagne : l’ancienne ambassade de France en Sarre“ war 2014 der Ausgangspunkt einer Forschungsarbeit über das Projekt einer französischen Botschaft im Saarland. Hier ging es darum, die Bedeutung eines Baudenkmals für die gemeinsame deutsch-französisch-europäische Geschichte zu belegen, seinen städtebaulichen, historischen und kulturpolitischen Kontext zu erfassen und von hier aus eine Neubewertung vorzunehmen.
Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstand unter der französischen Militärregierung ein erster, für die damalige Zeit revolutionärer Regionalplan für den Aufbau und die Modernisierung eines deutsch-französischen Grenzgebietes. Das Leitbild einer „région-charnière“ rückte die Saar in die Mitte Europas, es prägte Wirtschaft, Politik und Kultur gleichermaßen. Der 1947 ins Leben gerufene Saarstaat ging noch weiter. Er verstand sich als „Bücke zur Verständigung zwischen den Völkern“ (Präambel der Verfassung). Bereits 1951 bewarb sich Saarbrücken als zentraler Sitz der Behörden der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Es war die Rede von einem „District of Europe“, einem „zweiten Luxemburg“. Die Volksabstimmung über das europäische Saarstatut im Oktober 1955 durchkreuzte diese Pläne, die seitdem als gescheitert gelten. Die negative Einschätzung jener Zeit wirkt sich auch auf den Umgang mit ihren Denkmälern aus, allen voran jenem Bauwerk, das 1950-1955 als französische Botschaft in Saarbrücken entstanden ist. Für die Pläne verantwortlich zeichnete die französisch-saarländische Architektengemeinschaft Pingusson-Schultheis-Baur, als Auftraggeber der Botschafter Frankreichs, Gilbert Grandval. Eigentümer des Baugrundstücks war der Saarstaat, vertreten durch den Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann.
Das Projekt scheint heute aktueller zu sein denn je, denn es drückt den Glauben an die Möglichkeit der Überwindung überholter Feindschaften, Gegensätze, Klischees und einer fatalistischen Deutung der Geschichte aus. Das ungewöhnliche Bauprojekt, in dessen Geschichte die deutsche, die französische und die saarländische Perspektive zu einer europäischen Perspektive verschmelzen, liegt heute am Rand der Stadtmitte. Möglicherweise haben die immer noch spürbaren Folgen zweier Volksabstimmungen „an der Saar“ (1935/1955) eine seiner Bedeutung angemessene Einschätzung bis heute verhindert.
Das Vorhaben einer Forschungsarbeit wurde nach der Durchführung mehrerer Seminare und Workshops mit Studierenden zwischen Nancy und Saarbrücken im Rahmen der École nationale supérieure d‘architecture in Nancy initiiert. Dabei ging es auch darum, Argumente für eine weitere Zusammenarbeit „über die Grenzen hinweg“ zu finden. Erste Ergebnisse wurden in den Saarbrücker Heften im Sommer 2015 veröffentlicht. Schließlich entstand ein Resümee meiner Forschungsarbeit in französischer Sprache auf der Grundlage französischer und deutscher Textbausteine. Diese wurden von Sylvie Grimm-Hamen zusammengeführt. Veröffentlicht wurde dieser Text im Februar 2019 auf In Situ. Er wird begleitet von einem umfassenden Anmerkungsapparat und ist die Grundlage für diese erste Einführung in das Projekt der Saarbrücker Botschaft im Spannungsfeld der Politik in deutscher Sprache. Unterstützt hat mich beim „Weiterschreiben“ Christoph Ehre.
Die Zusammenarbeit fand aber auch Niederschlag in den Fotografien von Kai Loges und Andreas Langen, den Zeichnungen von Alain Poncelet (Waterloo, Wallonien) und in einem 3-D-Modell der Botschaft, das auf der Grundlage originaler Pläne von Maxime Santiago in Zusammenarbeit mit Alexandra Schlicklin angefertigt wurde.
Video Modélisation 3D par Maxime Santiago – © Tous droits réservés, janvier 2019
Brücke
Die Pariser Zeitschrift „L’Architecture d’Aujourd’hui“ schrieb schon in ihrer ersten Nachkriegsausgabe vom Mai-Juni 1945 den zweisprachigen Grenzregionen zwischen Deutschland und Frankreich eine bedeutende Rolle zu. Vor allem im Saarland, das schon 1946 wegen seiner Industrie und der exponierten Lage zwischen Deutschland und Frankreich einen Sonderstatus erhielt, stand der Aufbau für eine grundlegende Neuausrichtung. Wirtschaft, Politik und Kultur sollten derselben Idee folgen, die vage mit „esprit contemporain“ umschrieben wurde.
Europa war das Leitmotiv[7], das zum Beispiel Ausdruck in der Gründung der ersten europäischen Universität in Saarbrücken fand, wo die Zweisprachigkeit und vergleichende Studien gepflegt wurden. Hier und an der kurz zuvor gegründeten Hochschule für Kunst und Handwerk wurden die Wegbereiter eines künftigen, transnationalen, Europas ausgebildet, Geistes- und Sozialwissenschaftler, Juristen, Übersetzer, Künstler, Ingenieure, Handwerker und Architekten, qualifizierte Arbeitskräfte, die man für den Aufbau benötigte.
Der schon 1946/1947 von dem Architekten Georges-Henri Pingusson und seinem Auftraggeber, dem Militärgouverneur Gilbert Grandval vorgestellte Regionalplan („Plan“), der übrigens nicht ins Deutsche übersetzt wurde, interpretierte das Saargebiet ganz neu als „région-charnière“, als Dreh- und Angelpunkt zwischen den Ländern Westeuropas. Dem entspricht die Aufforderung der im Dezember 1947 veröffentlichten Verfassung des Saarlandes an seine Bürger, künftig „eine Brücke zur Verständigung der Völker zu bilden“[14]. In diesem Sinne entstand auch die erste saarländische Architekturzeitschrift des Architekten Otto Renner für „Bauen, Wohnen und Arbeiten“[26], die ihre Bestimmung darin sah, zum „Aufbau und zu der Gestaltung eines neuen Europas“ beizutragen[27].
Botschaft
Zwischen Juli und August 1950 entstanden die ersten offiziellen Lagepläne, Ansichten und Skizzen der Innenausstattung einer Botschaft, kaum zwei Monate, nachdem Robert Schumann das Projekt der EKGS, am 9. Mai 1950 in Paris, präsentiert hatte.
Als Auftraggeber zeichnete Gilbert Grandval (1904-1981) die Pläne. Eigentümer des Baugrundstücks war das Saarland, vertreten durch Johannes Hoffmann. Der ehemalige, von den Nazis verfolgte Journalist war im August 1945 aus dem Exil in Brasilien zurückgekehrt und der erste Ministerpräsident des Saarlandes.
Ende 1950 unterzeichneten die Architekten Pingusson-Schultheis-Baur den ersten Ausführungsplan [28]. Ab 1951 entstanden Beschreibungen des Projektes aus der Feder von Pingusson, die den Bau der Botschaft als wichtigen Bezugspunkt des von ihm geplanten neuen Stadtzentrums darstellen[20].
Pingusson zufolge verkörperte die Botschaft die Bereitschaft Frankreichs, „fruchtbare und anhaltende freundschaftliche Verbindungen zu knüpfen“. Für ihn war der Name „Saarbrücken“ Programm: eine „Brücke über die Saar“. Das lang gestreckte Gebäude grenzt an eine Allee als Teilabschnitt einer künftigen „Straße Europas“ von Luxemburg über Saarbrücken nach Straßburg, entlang der Mosel, der Saar und des Rheins.
Im Juni 1951 kandidierte die Stadt Saarbrücken bei der Hohen Behörde der EKGS, einer überregionalen Instanz, um den „Sitz der dauerhaften Institutionen der Gemeinschaft“.[29] In diesem Kontext entwickelte Grandval seine Vision eines sogenannten „District of Columbia Europas“[30]. Kurze Zeit nach seiner Ernennung zum französischen Botschafter am 25. Januar 1952 bat Grandval sein politisches Gegenüber Hoffmann, das städtebauliche Projekt entsprechend dem Fortschritt der Bauarbeiten an der Botschaft voranzutreiben.
Die Architekten planten ein Gebäude aus zwei miteinander verbundenen Einheiten, „Block I“ / „Block II“, letzterer war der Verwaltung, dem Konsulat, vorbehalten, ein schmales, einbündiges Hochhaus von rund 100 Metern Länge und einer Breite von nur acht Metern. Block I besteht aus drei ineinander übergehenden horizontalen Kuben, Flachbauten für Empfang, Residenz und „Service“.
In einem Vorentwurf hatte Pingusson schon im August 1950 zahlreiche Skizzen angefertigt, von der Innenausstattung im Botschaftstrakt, dem Eingangsbereich, dem Wohnbereich bis hin zum Büro des Botschafters. Büro und Empfangsräume führen zum beeindruckenden Eingangssaal und dem „Ehrenhof“, Dieser macht das Herz des Gesamtbauwerk aus, hier befindet sich der Haupteingang, der das Gebäude elegant in Szene setzt.
Die Übergänge zwischen den einzelnen Gebäudeteilen gestalten sich fließend: Decken und Wände, sowie innere und äußere Räume, gehen nahtlos und auf sehr natürliche Weise ineinander über. Einige Bereiche der Innenräume lassen sich in ihrer Größe sogar modular verändern beziehungsweise erweitern, wie beispielsweise die Büroräume des Hochhauses und der Empfangssaal. Letzterer lässt sich bei Bedarf mittels eleganter, ungewöhnlich hoher Schwingtüren auf die lichtdurchflutete Galerie öffnen.
Einige der bekanntesten Figuren aus der damaligen französischen Kunst- und Designszene wirkten an diesem Projekt mit. Die noch heute erhaltenen Ausstattungselemente zeugen von der Festlichkeit der Botschaft. Besonders auffallend: der 75 Meter lange, monumentale Wandteppich in der Eingangshalle – von François Arnal in Frankreich maßgefertigt – oder die gigantische Zeichnung einer industriellen Landschaft von Claude Maurel im Stil von Giovanni Battista Piranesi, sowie ein Relief (Sgraffito) von Otto Lackenmacher. Staatskünstler wie Raffael Raffel und Jacques Dumond verwandelten das Büro des Botschafters und die grenzenden Empfangsräume in wahre Schaufenster für Luxusgüter aus Frankreich.
Auch einige der, auf den ersten Blick weniger spektakulären, aber dennoch durchaus sorgfältig durchdachten Details verdienen Beachtung: Zu nennen sind die Lampen von Georges Lévy Mazeaud und Hans Bert Baur, die Türgriffe und andere metallene Beschläge, die alle noch erhalten sind. Das gilt leider nicht für die Wandmalereien von Boris Kleint und eine überdimensionale Skulptur („La Mine“) des Glaskünstlers Henri Navarre.
Im Januar (bzw. im Juni) 1955, schlossen Hans Bert Baur, Gilbert Grandval und Johannes Hoffmann gemeinsam das Bauprojekt ab. Die Höhe der Gesamtausgaben belief sich auf 880.000.000 (französische?) Francs und entsprach dem Kostenvoranschlag der Architektengemeinschaft von 1952 [38].
Für Pingusson, den federführenden Architekten und Planer, stand die Botschaft exemplarisch für das neue Zeitalter an der Saar. Der Fokus auf Transparenz und Offenheit, die Rolle des Kunsthandwerks in der Innenausstattung und die Bedeutung der Werkstoffe waren wichtige Elemente dieser Architektur. 1955, das Gebäude war gerade fertiggestellt, widmeten sich die Zeitschriften „L’Architecture d’aujourd’hui“ und eine Sonderausgabe des bilingualen Magazins „Natur und Technik“, von Otto Renner herausgegeben, dem „Saarland und seiner europäischen Mission“. Hier spielt die „Französische Botschaft des Saarlandes in Saarbrücken“ als Mittelpunkt der Stadt und als ästhetischer Maßstab für ihren Aufbau eine wichtige Rolle. Während „L’Architecture aujourd’hui“ Pingusson als einzigen Projektplaner nennt, ist im Magazin „Natur und Technik“ von der „Architektengemeinschaft“ Pingusson, Schultheis und Baur und deren gemeinsamer Verantwortung für Planung und Bauausführung die Rede.[36]
Propaganda
Nicht von ungefähr wurde die Botschaft zum Ziel der Propaganda gegen die Europäisierung im Rahmen der Volksabstimmung über das Saarstatut[37]. Die Verleumdungen zielten darauf ab, die Verantwortlichen zu disqualifizieren und ihre kulturpolitische Strategie, deren europäische Tragweite angeblich den wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Länder widersprach, für ungeeignet zu erklären. Hatte Adenauer im Jahr 1952 vor dem deutschen Bundestag nicht bereits betont, die Bundesrepublik habe keinerlei Interesse an einem unabhängigen saarländischen Staat?
Mit dem Ende der Unabhängigkeit verlor auch die französische Botschaft in Saarbrücken ihre politische und symbolische Bedeutung. Ungewiß war auch, was aus einer „der gelungensten architektonischen Schöpfungen im Saarbrücker Stadtbild“ werden sollte. Am 5. Juli 1959 wurde die Zoll- und Währungsunion des Saarlandes mit Frankreich eingestellt. Die Angliederung an die Bundesrepublik Deutschland war besiegelt.
Denkmal
Das Botschaftsgebäude wurde genau 30 Jahre nach der Fertigstellung 1985 in eben dieser ihrer ursprünglichen Funktion unter Denkmalschutz gestellt. An einer Erhaltung bestehe, so lautet das Schreiben des Staatlichen Konservatoramtes an den Minister für Kultus, Bildung und Wissenschaft des Saarlandes vom 23. Juli.1985, „ein öffentliches Interesse aus geschichtlichen, künstlerischen, wirtschaftlichen und insbesondere städtebaulichen Gründen (…). Der Denkmalschutz erstreckt sich auf die Anlage als Ganzes, die Gebäude, die Ausstattung (Einrichtung aus der Erbauungszeit) und die Umgebung.“
Seit Mitte 2014 steht das Gebäude leer, seine Nord- und Ostfassade grenzen direkt an die 1956 bis 1963 erbaute und ab 1986 erweiterte Autobahn, der Hauptverursacher seines Zerfalls.
Der Haupteingang über den Ehrenhof, der zur Saar ausgerichtete Mittel- und ideelle Höhepunkt der Anlage, ist schon lange seiner Funktion enthoben. Eine Entscheidung über eine neue Nutzung, die der politischen und kulturellen Bedeutung des Gebäudes würdig ist, lässt bis heute auf sich warten.
Dass die Bemühungen der Politiker und ihrer Planer, allen voran Pingusson, nicht umsonst waren, zeigt sich im gegenwärtigen Modell der Großregion Saarland-Lothringen-Luxemburg-Rheinland-Pfalz-Lothringen, die 2016 um die Region Grand Est und das Elsass, Ardennen und Champagne erweitert wurde.
Noch Jahre nachdem Pingusson das Saarland verlassen hatte, hoffte er auf die saarländisch-lothringische Solidarität und unterhielt weiterhin gute Beziehungen zu den Nachbarländern Luxemburg und Wallonien. Nicht ohne Grund war es seine Idee gewesen, den Regionalplan für das Saarland mit den Plänen für Lothringen und Luxemburg zu ergänzen. Seine Botschaft steht weder symbolisch für den Sieg eines „esprit français“ über das Saarland und Deutschland[41], noch kann man die politische und kulturelle Mission des Saarlandes 1945 -1955 als gescheitert betrachten. Dies wäre eindeutig zu kurz gefasst.
Großregion
Ohne das Engagement für die europäische Sache, das Pingusson, Grandval, Hoffmann und viele andere – nicht zuletzt jene gut dreißig Prozent der Saarländerinnen und Saarländer, die für das europäische Statut gestimmt haben – umgetrieben hat, gäbe es heute vermutlich kaum jenen engen Austausch zwischen den Nachbarn, ganz zu schweigen von konkreten grenzübergreifenden politischen Strukturen wie dem politischen Gipfel der Großregion oder Projekten wie der Kulturhauptstadt Europas 2007 „Luxemburg und Großregion“ und dem 2009 gemeinsam verabschiedeten Vorhaben einer „Grenzübergreifenden Polyzentrischen Metropolregion“.
Das sind allerdings alles freiwillige „Projekte“, und dazu gehört auch die Zukunft der Botschaft. Ihre exemplarische Bedeutung für die Kultur- und Politikgeschichte im europäischen Spannungsfeld zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg macht aus ihr mehr als „nur“ ein Baudenkmal. So ist zu hoffen, dass auch dieser Essay im Sinne einer Kulturgeschichte der Mehransichtigkeit bald weitergeschrieben werden kann.
„Mémoire architecturale au miroir de la France et de l’Allemagne. L’ancienne ambassade de France en Sarre 1945 – 1955 / 2018 », In Situe (En ligne), 38/2019, mis en ligne le 15 février 2019.